Glasfasertechnologie trifft 300 Millionen Jahre alten Granit

Glasfasertechnologie trifft 300 Millionen Jahre alten Granit

Juli 2018 - von Benedikt Galliker

Tief im Granit des Aarmassivs liegen Glasfaserkabel. Sie nehmen wie ein riesiges Mikrofon Schallwellen auf und ermöglichen es den Forschenden der ETH Zürich in den Berg hinein zu horchen. Noch wird die Glasfasertechnologie im Nagra-Felslabor Grimsel ausgiebig getestet, um später zur Überwachung von Tiefengeothermieprojekten und anderen Projekten im Untergrund eingesetzt zu werden.

Im Versuchsstollen liegen gelbe Kabel und kleine Kästchen am Boden. Mittendrin ein Mann in einer orangen Leuchtweste, der auf einer Art Schubkarre sitzt. «Bitte nicht bewegen», fordert er mich auf. Ein leises Vibrieren und dann ist wieder Ruhe. Ich erfahre von ihm, dass die Messungen laufen und seine Schubkarre ein Vibrationsfahrzeug im Miniformat ist, das Schallwellen erzeugt. Diese werden von den gelben Glasfaserkabeln und den kleinen Kästchen – Geofonen – registriert.

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Bei den Messungen dient eine Art Schubkarre als Mini-Vibrationsfahrzeug.

Schallwellen mit Glasfaserkabeln einfangen

Einen Stollen weiter treffe ich auf den ETH-Projektleiter Dr. Joseph Doetsch, der sich die Messwerte am Computer ansieht. Zusammen mit Professor Andreas Fichtner und Cédric Schmelzbach von der ETH Zürich erforscht er geophysikalische Anwendungen der Glasfasertechnologie. «Mit drei Kilometern Glasfaserkabel fangen wir Schallwellen auf. Diese stammen von sehr kleinen, natürlichen Erbeben oder werden mit Hämmern und der Vibrationsschubkarre künstlich erzeugt», sagt der Forscher. «Im Gestein entstehen auch Schallwellen, wenn es durch Einpressen von Flüssigkeit unter Druck gesetzt wird», fährt Doetsch fort. «Das spielt bei der Tiefengeothermie eine Rolle und wir versuchen die dabei ablaufenden physikalischen Prozesse besser zu verstehen.»

Bestehende Infrastruktur weiternutzen

Solche Versuche zur Tiefengeothermie hat das Schweizer Kompetenzzentrum für Energieforschung – Strombereitstellung (SCCER-SoE) bereits letztes Jahr im Felslabor Grimsel durchgeführt. Das «In-situ Stimulation and Circulation»-Experiment (ISC) untersuchte in kleinem Massstab, wie der Fels durch Einpressen von Wasser aufbricht und inwiefern sich dadurch die Gesteinsdurchlässigkeit als Grundlage für einen effizienten Wärmetauscher verändert. Das Glasfaser-Experiment ist eine Erweiterung des ISC-Experiments, wobei bestehende Infrastruktur weitergenutzt wird. Dazu gehören Glasfaserkabel in sechs Bohrlöchern im Granitgestein sowie hochempfindliche Geofone, die in Bohrlöchern und an den Tunnelwänden installiert sind. Hinzu kommt ein Seismometer, welches der Schweizerische Erdbebendienst an der ETH Zürich im Forschungsstollen der Nagra betreibt und das permanent Erdbeben überwacht. Für die neuen Messungen mussten Doetsch und sein Team im Stollen lediglich ein weiteres Glasfaserkabel von einem Kilometer Länge auslegen, dieses mit dem bestehenden Glasfaserkabel verbinden sowie einige zusätzliche mobile Geofone aufstellen.

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ETH-Projektleiter Dr. Joseph Doetsch sieht grosses Potenzial: «Die Glasfasermesstechnik kann die Schallwellenmessungen revolutionieren!»

Glasfasertechnologie ausführlich testen

«Das Experimentieren mit der Glasfasertechnologie ist richtig spannend», betont Joseph Doetsch: «Wir können Schallwellen mit verschiedenen Frequenzen sowohl mit den Glasfaserkabeln als auch mit den klassischen Sensoren wie Geofonen und dem Seismometer messen. Die Messwerte vergleichen wir miteinander.» So fänden sie heraus, wie gut die Glasfasertechnologie funktioniere. Nach den ausführlichen Tests mit künstlich erzeugten Schallwellen bleibt das Messystem in den nächsten Wochen eingeschaltet. Doetsch und sein Team wollen damit kleine natürliche Erdbeben auffangen.

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Der Versuchsstollen mit dem SED-Seismometer (grauer «Topf»), den mobilen Geofonen (gelbe Kästchen) und dem Glasfaserkabel (gelbes Kabel).

Revolutionäre Messtechnik

Bei der innovativen Messtechnik bildet das Glasfaserkabel den Sensor. Zur Messung von Schallwellen werden Lichtpulse benutzt und nicht wie bei klassischen Sensoren elektrische Signale. Die Lichtpulse werden durch die Glasfasern geschickt, entlang des Kabels zurückgestreut und am Ausgangspunkt wieder aufgefangen. Trifft eine Schallwelle ein, dehnt diese nicht nur das umliegende Gestein, sondern geringfügig auch das Glasfaserkabel und beeinflusst das Lichtsignal (mehr zum Messprinzip). Diese Änderungen der Lichtpulse enhalten somit die gesuchten Informationen zum Ort als auch zur Stärke der Schallwellen. Der grosse Vorteil der Glasfasermesstechnik ist, dass die Messpunkte über die gesamte Länge des Kabels verteilt sind. «Wir haben sozusagen hunderte Sensoren gleichzeitig in Betrieb und nicht nur wenige an vereinzelten Orten. Deshalb kann die Glasfasermesstechnik die Schallwellenmessungen revolutionieren», so Doetsch. Diese Technologie lässt sich nicht nur bei der Überwachung von Tiefengeothermieprojekten und in Bohrlöchern der Gas- und Erdölindustrie einsetzen, sondern auch bei der Pipeline- und Geländeüberwachung.

Anwendungsmöglichkeiten bei der Nagra

Über Fortschritte freut sich auch Nagra-Projektleiter Dr. Tobias Vogt. «Wir setzen die Glasfasermesstechnik bereits zur Bestimmung der Temperaturverteilung ein». Er kann sich vorstellen, dass zukünftig bei Experimenten im Felslabor und bei Tiefbohrungen auch Schallwellenmessungen mit Glasfaserkabeln zum Aufspüren kleinster Veränderungen im Fels verwendet werden. «Ich warte gespannt auf die Auswertung der Messungen», so Vogt.

Dieser Beitrag wurde zuerst im Nagra-Blog veröffentlicht.

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Diese Glasfaserkabel im Versuchsstollen fangen Geräusche auf.

Autor

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Benedikt Galliker ist technisch-wissenschaftlicher Redaktor bei der Nagra. Er schreibt Artikel und schiesst Fotos für Printprodukte, das Internet und den Nagra-Blog zu Themen der nuklearen Entsorgung.